Gertrud Otto


Gertrud Otto (*07.06.1895, †12.10.1970) war die erste Wissenschaftlerin, die am Kunsthistorischen Institut in Erscheinung trat. Nachdem sie in München ihr Studium begonnen hatte, erfolgte im Frühjahr 1922 der Wechsel an die Universität Tübingen, wo sie 1923 mit einer Arbeit über die Ulmer Plastik des frühen 15. Jahrhunderts promovierte. Ihre Dissertation wurde mit der Bestnote summa cum laude bewertet. Unmittelbar nach Bestehen ihres Doktorexamens trat Otto eine Assistentinnenstelle bei Georg Weise an. Diese für das noch kleine Institut wichtige Position hatte sie über den Zeitraum von 17 Jahren inne. 1941 wechselte Otto an die Reichsuniversität Posen, an der sie bis Januar 1945 als wissenschaftliche Assistentin tätig war und wo sie 1943 mit einer Schrift über Gregor Erhart habilitierte.

Aus Quellen geht hervor, dass Otto bereits 1935/36 beabsichtigte, ihre Stelle in Tübingen zu kündigen. Schreiben zu diesem Vorgang geben Einblicke in ihre Arbeit am Institut, und sie belegen eine Differenzierung zwischen den Geschlechtern. Zu Ottos Tätigkeiten zählten vorrangig Verwaltungsaufgaben wie die Organisation, Katalogisierung und Pflege der Bibliothek sowie der Lichtbild- und Fotobestände, die Ausleihe von Diapositiven (auch an Tübinger Schulen), der Schriftverkehr für das Institut und den Universitätsbund, aber auch die Beratung von Studierenden, die Unterstützung von Weise bei dessen Forschungen und Lehrveranstaltungen sowie das Bedienen der Diaprojektoren. Der Ordinarius betonte in Briefen an verschiedene Ämter wiederholt, dass die Assistentenstelle eine „drückende Last“ für die Inhaberin darstelle und keine Möglichkeit „zu umfassender Fortführung [der] wissenschaftlichen Ausbildung und zu eigener intensiver wissenschaftlicher Arbeit“ biete. Für einen männlichen Habilitanden, so Weise, sei diese Position folglich ungeeignet; er bevorzugte deren „Besetzung mit einer weiblichen Kraft“.

Trotz starker Beanspruchung gelang es Otto während der Tübinger Zeit wissenschaftliche Projekte zu verfolgen. In ihren Publikationen befasste sie sich primär mit spätgotischer Plastik in Oberschwaben; gemeinsam mit Weise veröffentlichte sie 1938 zudem das Buch Die religiösen Ausdrucksgebärden des Barock. Aufgrund kriegsbedingter Einschränkungen des Institutsbetriebs führte sie um 1940 auch Lehrveranstaltungen durch. In seinem Zeugnis für Gertrud Otto erwähnt Weise 1941 neben der Übung „Deutsche Plastik und Malerei des 15. Jahrhunderts“ auch eine Vorlesung zur „Kunst der italienischen Frührenaissance“. Nach dem Kriegsende und der Schließung der Reichsuniversität Posen nahm ihre akademische Karriere ein jähes Ende. Sie fand keine universitäre Anstellung mehr, sondern wurde ab 1947 Lehrerin in Memmingen. Kunsthistorische Forschungen hat sie gleichwohl weiter betrieben und noch bis in die späten 1960er Jahre publiziert.

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Gertrud Otto Gertud Otto war 17 Jahre lang am Institut tätig – die gleichen Möglichkeiten wie ihre männlichen Kollegen hatte sie nicht. | Fotografie, 1943, aus Robert Sepp: Gertrud Otto und ihr Werk, Memmingen 1995, S. 2.